Grundlage für die Analyse sind die aktuell verfügbaren Wahlprogramme, beziehungsweise deren Entwürfe. Die Analyse hat keinen journalistischen Anspruch und ist natürlich subjektiv. Für eure fundierte Wahlentscheidung empfehle ich euch unbedingt die Öffentlich-Rechtlichen und Zeitungen wie Zeit, FAZ, SZ und Co.
Jetzt hat er es doch noch geschafft – Friedrich Merz ist Kanzlerkandidat. 23 Jahre nachdem er von Angela Merkel ausgebootet wurde, hat er sich jetzt auch gegen Markus Söder durchgesetzt und hängt mittlerweile gar in Niederbayern auf den Wahlplakaten der Union.
Wirtschafts-, Finanz- und Klimapolitik
Die Wirtschaft soll mit der Agenda 2030 auf Vordermann gebracht werden. Zwei Prozent Wirtschaftswachstum sind das Ziel, die Unternehmenssteuer soll auf 25 % sinken und die Körperschaftssteuer auf 10 %. Weiterhin sollen die EU-Verordnungen nur noch zu einem Mindestmaß erfüllt werden und wie bei der FDP der Mehrwertsteuersatz in der Gastronomie dauerhaft auf 7 % gemindert werden. Auch der Strompreis soll – wie bei fast allen Parteien – abgesenkt werden.
Die Wirtschaftsförderung soll entgegen SPD und Grünen keine Lenkungswirkung haben, sondern generell fördern. Das Verbrennerverbot soll rückgängig gemacht und das nationale Lieferkettengesetz zurückgezogen werden. Auch das Heizungsgesetz soll revidiert werden – entgegen der Meinung der Wirtschaft – und dann träumen Merz und Söder von neuen Kernkraftwerken.
Auch Privatpersonen sollen entlastet werden – allerdings vor allem die Besserverdiener. So ist geplant den Spitzensteuersatz erst ab 80.000 € greifen zu lassen und den Solidaritätszuschlag gänzlich abzuschafffen. Auch steht eine Erhöhung der Pendlerpauschale im Programm. Eine Gegenfinanzierung von all diesen Punkten hat die Union nicht. So kommt die Partei ohne die nötigen Investitionen in Infrastruktur und Bundeswehr auf ein Minus von 89 Mrd. €. Gleichzeitig will Merz an der Schuldenbremse festhalten. Gerne mal in den TV-Debatten darauf achten, wie sehr sich die Union hier windet die Finanzierungsfrage zu beantworten.
Sozial- und Innenpolitik
Bei der Sozialpolitik hat Merz einen großen Wandel in der Rentenpolitik vollzogen. Als Oppositionsführer wollte er das Rentenalter noch erhöhen, als Kanzlerkandidat ist das natürlich kein Thema mehr. Schade, dass ihn schon vor der wahrscheinlichen Kanzlerschaft der Mut zu unpopulären Entscheidungen verlässt. Stattdessen sollen Rentner bis zu 2.000 € steuerfrei hinzu verdienen können.
Weiterhin soll das Bauen gefördert werden, wodurch auch Mieten mittelfristig abgesenkt werden sollen. Die Kita soll nicht kostenlos, aber steuerlich absetzbar sein – das hilft allerdings primär Besserverdienern. Das Bürgergeld soll abgeschafft und eine Grundsicherung mit strengeren Regeln für „Totalverweigerer“ eingeführt werden. Die mögliche Einsparung für den Bundeshaushalt beläuft sich übrigens auf maximal 5 Mrd. €, da es ein durch das Verfassungsgericht gesichertes Mindestmaß gibt.
Scheinbar haben nicht nur die Gastronomen gute Lobbyarbeit betrieben, im Wahlprogramm steht auch „Präsenzapotheken“ sollen gestärkt werden. Nachdem es sonst keine bahnbrechenden Ideen zur Gesundheitspolitik gibt sei zumindest das genannt.
Außenpolitik und Migration
In der Außenpolitik bekennt sich die Union zur NATO und betont die Wichtigkeit von guten Beziehungen speziell zu Polen und Frankreich. Ebenso will die Union mindestens das 2 %-Ziel einhalten und die Ukraine unterstützen. Allerdings bröckelt auch hier im Wahlkampf die Unterstützung. Wollte Merz vor einigen Monaten noch unbedingt Taurus Marschflugkörper liefern, wird er mittlerweile von Söder eingebremst. Eine Forderung, welche die junge Union durchsetzen konnte, ist die Wehrpflicht – im Wahlprogramm steht eine „aufwachsende Wehrpflicht“ mit einem Gesellschaftsjahr als Ziel. Das würde übrigens die Wirtschaft schwächen und aktuell hätte man gar nicht genügend Kasernen.
Bei der Migration setzt die Union auf einen harten Kurs. So sollen die Grenzen wieder dauerhaft kontrolliert werden, was mit EU-Recht nur schwer vereinbar ist und der oben genannten guten Beziehung mit den Nachbarländern eher schaden wird. Daneben sollen Asylverfahren in Drittstaaten durchgeführt werden. Das ist rechtlich aber mehr als umstritten, Umsetzbar wäre die Lösung ,genauso wie die immer wieder genannte Obergrenze, nur durch eine Abschaffung des individuellen Asylrechts. Dieses Recht ist aus guten Grund in unserer Verfassung geschützt. Die Forderung gab es bisher auch nur von der AfD im Wahlprogramm von 2021.
Update: 5 Punkte Plan
– Dauerhafte Grenzkontrollen
Diese Forderung ist nach EU-Recht nicht umsetzbar. Allerdings werden aktuell bereits Grenzkontrollen durchgeführt, welche durch die SPD kürzlich wieder verlängert wurden. Die Kontrollen haben über 25.000 illegale Einreisen verhindert, Der Kosten-Nutzen Faktor wird sogar von der Bundespolizei angezweifelt. Es handelt sich also eher um eine kurzfristige Lösung.
– Einreiseverbot für Personen ohne Dokumente auch bei Asylgesuch
Auch dieser Punkt ist nach EU-Recht nicht umsetzbar. Sogar wenn bereits in einem anderen EU-Land ein Asylantrag gestellt wurde. Es handelt sich hier also um eine leere Forderung. Stattdessen müssen die Feststellungsverfahren deutlich beschleunigt werden.
– Inhaftierung von Ausreisepflichtigen / Abschiebung Afghanistan und Syrien
Dafür stehen aktuell nur 800 Plätze zur Verfügung. Merz will auch Kasernen dafür nutzen, deren Platz ist aber ebenfalls begrenzt. Siehe oben. Die Abschiebung von Straftätern nach Afghanistan und Syrien ist verständlich. Hier gibt es allerdings menschenrechtliche Bedenken in Afghanistan durch die Taliban und leider weiterhin auch in Syrien.
– Unterstützung der Länder bei Vollzug von Ausreisepflicht
Aus meiner Sicht ein richtiger und wichtiger Vorschlag. Spätestens nach Aschaffenburg.
– Ausreisepflichtige Straftäter sollen unbefristet in Arrest
Aktuell gelten hier 28 Tage. Man könnte sicher über eine Verlängerung nachdenken, unbegrenzte Haftzeiten sind natürlich weder mit deutschem noch mit europäischen Recht vereinbar. Ein sehr populistischer Vorschlag.
Bewertung
Die Union verspricht sehr viel in ihrem Wahlprogramm. Es ist aber auch besonders unehrlich. Alleine die Kosten für die Entlastungen belaufen sich auf fast 90 Mrd. € pro Jahr. Dazu kommen ab 2027 – wenn das Sondervermögen der Bundeswehr ausläuft – noch einmal 30 Mrd. € pro Jahr hinzu. Zur Gegenfinanzierung nennt die Union einzig die Abschaffung des Bürgergelds (maximal 5 Mrd. €), Bürokratieabbau und Wirtschaftswachstum. Bei einem Prozent Wirtschaftswachstum wächst der Bundeshaushalt übrigens um 10 Mrd. €. Man sieht also schon bei einem angestrebten Wachstum von zwei Prozent wird man die Lücke von 90 Mrd. € kaum schließen können. Dass die Union dann auch noch an der Schuldenbremse festhalten will und damit auch die nötigen 600 Mrd. € Investitionen in die Infrastruktur ignoriert ist fahrlässig.
Beim zweiten Schwerpunkt, der Migration, hat die Union nun einen 5-Punkte Plan vorgelegt. Dieser soll im Bundestag zur Abstimmung gebracht werden. Wichtig zu verstehen ist hier: Es handelt sich um eine Absichtserklärung, keinen Gesetzesvorschlag! Auch wenn der Antrag eine Mehrheit bekommt werden die Maßnahmen noch nicht automatisch umgesetzt.
Weiterhin hat Merz einen großen Fehler begangen und die „Brandmauer“ zur AfD einreißen lassen. Mit einem Antragstext, der die AfD scharf kritisiert, wollte er im Nachgang die Zustimmung der AfD verhindern. Diesen Gefallen tut ihm Alice Weidel jedoch nicht. Inwiefern sich diese Annäherung an die Antidemokraten der AfD auswirkt ist noch nicht klar, es könnte sich allerdings bei klassischen Unionswählern, die sich eine härtere Asylpolitik wünschen und zeitgleich die AfD strikt ablehnen, negativ auswirken. Übrigens sprachen sich auch die Kirchen gegen den Antrag der „Christlich“ Demokratischen Union.
Dagegen spricht, dass Grüne und SPD sich gefühlt nicht an das Thema Migration herantrauen. Speziell die SPD könnte hier durch einen neuen Ansatz viel gewinnen. In Dänemark haben Sozialdemokraten ein extremes Migrationsgesetz durchgebracht. Stattdessen ist der Vorschlag wieder sehr technokratisch. In der Folge überlässt man die Debatte wieder den extremen Parteien und stärkt so die AfD.
Update:
Den Anträgen der Union wurden heute mit Stimmen der AfD zugestimmt. Ein unfassbarer Dammbruch – ein Sieg für die AfD. Ab Minute 19:15 findet ihr die erste gute Rede von Olaf Scholz: