In sämtlichen politischen Diskussionen der letzten drei Jahre ging es praktisch ausschließlich um das Bewältigen der sogenannten Flüchtlingskrise. Den meisten Politikern fehlt die Weitsicht und der Mut um die Fluchtursachen anstatt der Fluchtfolgen zu bekämpfen. Wenn dann über das Verhindern von Fluchtursachen gesprochen wird kommt ein Argument nie: Offene Grenzen.
Die Gründe dafür sind klar – Politiker sind abhängig von Nationalstaaten. Sie werden gewählt und im besten Fall zum Staatsoberhaupt. Offene Grenzen bedeuten aber gleichzeitig das Ende aller Staaten. Mit der Forderung nach offenen Grenzen würden die Politiker sich selbst praktisch ihres höchsten Ziels berauben. Auch die Mehrheit der Bevölkerung würde heute wohl kaum in einem demokratischen Verfahren für eine komplette Grenzöffnung stimmen. Was innerhalb (West-) Europas gefeiert wird, scheint weltweit unmöglich.
Doch viele Dinge schienen lange unmöglich und sind heute unverständlich. Denken wir nur an die Frauenrechte, das Ende der Sklaverei oder die Homoehe. Aus diesem Grund brauchen wir Menschen, die weiter denken. Die Menschheit braucht Utopien um sich weiter zu entwickeln. Das wusste schon Oscar Wilde. Besonders eindrucksvoll hat es zuletzt aber vor allem Rutger Bregman in seinen Utopien für Realisten aufgeschrieben – auch er fordert offene Grenzen.
Fortschritt ist die Verwirklichung von Utopien. – Oscar Wilde
Doch warum sind offene Grenzen erstrebenswert? Hören wir doch beinahe täglich durch die erstarkten Rechtspopulisten welche Nachteile Migration hätte. Da wird vor allem mit den Ängsten von Geringqualifiziertengespielt. Arbeitslosigkeit und der Verlust der eigenen Kultur sind neben angeblich drohender Kriminalität die größten Angstmacher. Die Argumente können allerdings leicht widerlegt werden:
– Arbeitslosigkeit steigt durch Migration mittelfristig nicht an, da neue Jobs entstehen und vor allem in Industrieländern Arbeitskräfte gesucht werden.
– Verlust der eigenen Kultur ist ein weiteres beliebtes Argument. Die eigene Identität beruft sich jedoch kaum auf den Nationalstaat als viel mehr auf die Region. Ein Niederbayer ist kulturell viel näher an einem Österreicher, als an einem Schleswig-Holsteiner. Offenheit für Vielfalt und erfolgreiche Integration tun ihr übriges.
– Kriminalität bleibt die letzte Waffe der Rechten. Statistiken lassen jedoch deutliche Zweifel zu, wenn man vernünftige Vergleichsgruppen (Alter, Einkommen, Geschlecht) nutzt.
Es spricht also wenig Rationales gegen offene Grenzen. Trotzdem will eine Mehrheit die Grenzen gar schließen. Wir brauchen also Argumente für die Utopie der offenen Grenzen. Am besten ist aus meiner Sicht eine nüchterne Betrachtung der Folgen. Und so hat sich auch Brand Eins in ihrer Reihe „Was wäre wenn“ mit offenen Grenzen beschäftigt.
Die Zahlen zu offenen Grenzen
Am deutlichsten sprechen hier die Zahlen. Aktuell möchten ca. 14% der weltweiten Bevölkerung gerne in einem anderen Land leben. Gleichzeitig leben 97% der Weltbevölkerung auch heute in ihrem Geburtsland. Ob sich diese Zahl wirklich so extrem durch offene Grenzen ändert darf angezweifelt werden. Die US-Grenze zu Mexiko ist ein gutes Beispiel für die Folgen von durchlässigen Grenzen. Als die Grenze in den 60er Jahren noch weniger kontrolliert wurde kehrten gar 85% nach der Einreise zurück.
Das stärkste Argument für offene Grenzen aus wirtschaftlicher Sicht liefern Ökonomen. Verschiedene Studien gehen von einer Steigerung des weltweiten Bruttoinlandsprodukts zwischen 67 und 147% aus. Eine Verdoppelung der weltweiten Wirtschaftsleistung ist also möglich. Wenn das nicht auch die – unter Linder so migrationsfeindliche – FDP überzeugt weiß ich es auch nicht.
Dazu kommt die Große Chance die Armut auf der Welt ein für alle Male zu begraben und die unglaubliche Ungleichheit zu begrenzen sowie der kulturelle Gewinn für uns alle.
Zusammenfassend sind offene Grenzen im Jahr 2018 natürlich eine Utopie. Ein vereintes Europa war jedoch auch lange undenkbar und innerhalb von nur einer Generation können Deutsche, Italiener, Franzen, Spanier usw. ohne eine Kontrolle in das Nachbarland reisen und dort auch arbeiten. Es lohnt sich also zu träumen.
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