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Das Leben nach Corona

In Deutschland steht die Welt seit gut drei Wochen still – Zeit sich zu überlegen, in welcher Form wir das öffentliche Leben und die Wirtschaft neu anlaufen lassen wollen.

So schrecklich die gegenwärtige Krise für einzelne Familien und ganze Regionen ist, so bietet sie doch die Möglichkeit für große, positive Veränderungen. Diese Chance wittern jedoch auch rückwärtsgewandte Interessensverbände wie die Automobillobby, welche schon jetzt eine Reduzierung der CO2 Ziele fordert. Um so wichtiger ist eine aktive Zivilgesellschaft, die einen zukunftsorientierten Wandel voran treibt.

Ein Gesundheitssystem des 21. Jahrhunderts

Im Zuge der Corona-Krise fällt auf, dass wir auch im zweiten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends einer Pandemie nur mit Lösungen aus dem 19. Jahrhundert begegnen. Der Lockdown wird gesellschaftlich momentan akzeptiert, weil es keine Alternativen gibt. Im Falle einer zweiten Welle werden weder unsere Wirtschaft, noch die Gesellschaft diese Form der Krisenbewältigung aus Zeiten der Spanischen Grippe widerspruchslos annehmen.

An Alternativen wird bereits jetzt im Zuge der Exit-Strategien unter Hochdruck gearbeitet. Das beinhaltet zum einen digitale Lösungen, wie Apps mit welchen Infektionsketten schnell und zielführend nachverfolgt werden können. Aufgrund des offenen Binnenmarkts in Europa ist langfristig, aber nur eine europaweite Lösung sinnvoll. Zum anderen muss sich der kulturelle Umgang mit Krankheiten in der westlichen Welt ändern. Der ostasiatische Weg mit Mundschutz im Krankheitsfall ist hier ein gutes Vorbild.

Doch wir sehen in der gegenwärtigen Krise auch, was gut läuft und ausgebaut werden muss. Die vermeintlichen Überkapazitäten und Ineffizienzen in deutschen Krankenhäusern und den dezentralen Prüflaboren zeigen sich als die große Stärke unseres Gesundheitssystems. Gemeinsam mit den gut ausgebildeten Ärzten und Pflegekräften sind sie das Rückgrat unserer Gesundheitsversorgung. Um das Fachpersonal halten zu können, werden wir allerdings bessere Löhnen und Arbeitsbedingungen brauchen. Dafür benötigt unser Gesundheitssystem mehr Geld.

Dieses Geld kann nur dann akquiriert werden, wenn besonders die jungen Besserverdiener in ausreichendem Maß unser Gesundheitssystem finanzieren. Aktuell verlassen vor allem diese Menschen unser solidarisches gesetzliches Krankenkassensystem und wechseln in die günstigeren privaten Kassen. Es kann nicht sein, dass wir Staatsbedienstete und Besserverdiener aus der Verantwortung nehmen – eine solidarische Bürgerversicherung für alle ist daher notwendiger denn je.

Eine Chance im Kampf gegen den Klimawandel

Nach Monaten der Dauerbeschallung mit grünen Themen durch Fridays for Future, Greta Thunberg und viele weitere gibt es nun endlich wieder ein anderes Thema, mag sich der ein oder andere denken. Doch der Klimawandel bleibt trotz Corona die große Menschheitsaufgabe in den ersten 50 Jahren unseres Jahrtausends. Ohne einen grundlegenden Wandel wird es die Welt wie wir sie kennen nicht mehr geben.

Nun zeigt sich durch die radikalen Einschnitte in der Corona Krise wie schnell man mit echten Maßnahmen einen Wandel herbeiführen kann. Die Bilder der sauberen Kanäle von Venedig, der verschwundenen Smog-Wolken in China und der leeren Straßen in den Megacitys sind um die Welt gegangen. Doch wenn wir den Schwung der aktuellen Veränderungen nicht nutzen, werden wir schnell zurück bei dem selbstzerstörerischen Status Quo sein.

Das Wiederhochfahren der Systeme muss also kontrolliert sein. Was brauchen wir wirklich? Wie es jeder auch im privaten machen würde – nach einem Umzug, oder auch nur dem Reset des Smartphones, überlegt man sich gut, was brauche ich wirklich. Diese Chance haben wir nun auch beim Kampf gegen den Klimawandel. So kann sicher jeder selbst fragen:

Kann man die Dienstreise nicht streichen? Muss man wirklich jedes Jahr eine Fernreise machen? Hat man während dem Lockdown das allwöchentliche Shopping wirklich so sehr vermisst? Waren die leeren Straßen der letzten Wochen und das ungestörte Fahrradfahren nicht toll? Ist ein oder zweimal die Woche Homeoffice vielleicht doch eine Lösung? Reicht mir Fleisch einmal pro Woche?

Das Ende des Wachstumszwangs

Doch nicht nur auf der privaten Ebene muss das Umdenken stattfinden. Nach 70 Jahren des ungebremsten Wachstums wird es Zeit sich zu fragen, ob mit der glorifizierten jährlichen Steigerung des Bruttoinlandsprodukts auch wirklich noch unsere Lebensqualität wächst. Was in der Nachkriegszeit und den Folgejahren galt, muss heute nicht mehr zwingend richtig sein.

So stellt sich die Frage, ob ein Autokonzern wirklich jedes Jahr mehr Fahrzeuge verkaufen muss, um seinen Wert zu steigern. Ist die Entwicklung von neuen und nachhaltigen Mobilitätskonzepten nicht von viel größerem Wert für die Gesellschaft, auch wenn das langfristig gar eine Reduzierung der verkauften Autos bedeutet? Das Ganze lässt sich leicht auf andere Branchen übertragen – eine Pharmaindustrie, die wieder an ihrer Innovationsfähigkeit statt ihrer Profitabilität gemessen wird. Banken, die Unternehmen und Privatpersonen bei der Finanzierung unterstützen, statt Spekulationen zu befeuern. Behörden, deren oberstes Ziel der Dienst am Bürger und nicht der Erhalt der Bürokratie ist.

Explizit ausschließen will ich ein Ende der Globalisierung. Auch wenn viele nun am Beispiel der Atemschutzmasken eine verstärkte Produktion innerhalb der EU, oder noch besser innerhalb Deutschlands, fordern, halte ich das für den falschen Weg. Mit all seinen Nachteilen ist die weltweite Vernetzung neben der Steigerung der Produktivität vor allem ein Garant für den Frieden. Als polemisches Beispiel: Keine Regierung der westlichen Welt kann eine Auseinandersetzung mit China vor der eigenen Gesellschaft rechtfertigen, wenn diese dafür auf ihre iPhones verzichten muss.

Wir können den Wandel jetzt einleiten

In den vorherigen Absätzen habe ich bereits markiert, was meine konkreten Vorschläge für einen Wandel im Zuge der Corona Krise sind. Im Gesundheitssystem ist das in erster Linie eine länderübergreifende Zusammenarbeit in Europa und eine bessere Bezahlung für Pflegepersonal finanziert durch eine solidarische Bürgerversicherung.

Ein Weg wie man das Wachstum steuern kann wäre ein CO2 Budget pro Person. Im Gegensatz zu aktuellen Konzepten, wie der CO2 Steuer, bekommt jeder Bürger das gleiche Budget zugeteilt. Dadurch verhindern wir, dass Fleisch zu einem elitärem Lebensmittel wird. Flugreisen nur noch für die Oberschicht bezahlbar sind und die generelle Belastung für die mittleren und prekären Schichten überproportional steigt.

Wenn jeder ein festes Budget an CO2 pro Jahr zur Verfügung hat, muss man abwägen, zwischen Pendeln mit dem Bus statt dem Auto und dem Grillfleisch. Zwischen der 10. Zalando Bestellung und dem Mallorca Urlaub. Wie der aktuelle Lockdown wird uns ein solches Budget beschränken – es wird jedoch auch die Wertschätzung und Achtsamkeit auf wichtigere Dinge als den Konsum richten: Unsere Gesundheit, die Lebensgrundlage und unsere sozialen Kontakte.

Bild im Text von Grillot edouard auf Unsplash
Beitragsbild von Xavi Cabrera auf Unsplash